Ein Beitrag unserer Kollegen von Kosmo.at
„Grenzen anhand ethnischer Linien“ lautet das Motto eines inoffiziellen Dokuments, welches der slowenische Premierminister Janez Janša nach Brüssel geschickt haben soll.
Das slowenische non paper über eine Reorganisation des Westbalkans versetzte nicht nur die betreffende Region, sondern auch die Europäische Union in Aufruhr. Die Existenz des Dokuments wurde immer heftig bestritten, sowohl von slowenischer als auch EU-Seite. Das slowenische Portal necenzrurano.si veröffentlichte allerdings Scans, welche neue Details ans Tageslicht brachten.
„Ungelöste nationale Probleme“
In der Einleitung des non papers ist von sogenannten „nationalen Problemen von Serben, Albanern und Kroatien“ die Rede, deren „Schlüsselfragen“ nach dem Ende des Jugoslawienkriegs und versprochenen EU-Perspektiven auch weiterhin „ungelöst bleiben“ würden.
Daher unterbreitet Slowenien der Europäischen Union folgende Lösungsvorschläge:
- Vereinigung des Kosovos und Albaniens
- Vereinigung der bosnisch-herzegowinischen Entität Republika Srpska mit Serbien
- Mehrheitlich kroatische Kantone Bosniens sollen mit Kroatien vereinigt werden, oder einen Sonderstatus innerhalb Bosnien-Herzegowinas zugesprochen bekommen
- Bosniaken erhalten einen unabhängigen, funktionieren Staat mit voller Verantwortung
Vereinfacht gesagt, sollen am Balkan die Grenzen nach ethnischen Linien gezogen werden. Davon erhofft man sich mehr Stabilität, weniger bis gar keine gegenseitigen interethnischen Blockaden innerhalb der Politik und dergleichen. Außerdem sollen die „ethnischen Grenzen“ einen schnelleren Beitritt zur Europäischen Union bzw. NATO ermöglichen.
Trennen, um zu verbinden?
Als Sprachwissenschaftler komm ich einfach nicht darum herum, mir die Bedeutung des Wortes „Grenze“ mal genauer anzusehen. Im Duden werden vier Definitionen angeben, die allesamt etwas gemeinsam haben: Trennung. Allein dieses Wort ist genug, um den Grundgedanken des slowenischen non paper gleich direkt in Frage zu stellen.
Werden nicht seit Jahren innerhalb der Union Floskeln und Phasen alla „europäische Werte, europäischer Geist und Zusammenhalt“ gepredigt? Wie kann also etwas Trennendes, wie etwa Grenzen anhand ethnischer Linien, dazu führen, dass man einer solidarischen Gemeinschaft beitritt? Ein Widerspruch in sich. Abgesehen vom „uneuropäisch Sein“ dieses Vorschlages sind Grenzziehungen anhand ethnischer Linien de facto unmöglich. Das Siedlungsgebiet unterschiedlicher Volksgruppen kennt seit der Menschheitsgeschichte keine politischen Grenzen. Es sind andere Faktoren, die Menschen dazu bewegen, zu migrieren bzw. an einem bestimmten Ort sesshaft zu werden.
Gefundenes Fressen für Nationalisten
Sollte man dennoch so eingeschränkt sein, zu glauben, dass es ethnische Linien gibt, anhand welcher Staatsgrenzen gezogen werden, dem soll eines gesagt sein: es wird immer jemanden geben, der dann auf „der falschen Seite“ des Zauns übrigbleibt. Und ist das dann im Sinne des Erfinders, auf diese Art und Weise lauter kleine ethnische Enklaven zu erschaffen? Mit Sicherheit nicht! Die Betroffenen werden sich ausgeschlossen, nicht genügend beachtet und dergleichen fühlen, was wiederum ein „schöner“ Nährboden für (Ethno-)Nationalismen ist. Beispiele hierzu finden wir in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens zuhauf. Man denke nur an die oftmals angedrohte Separation der Republika Srpska von Bosnien-Herzegowina, albanische Nationalisten in Mazedonien oder anti-serbische und pro-bosniakische Strömungen im Sandžak. Alles Bewegungen, die unter anderem mit der Zerstücklungen Jugoslawiens anhand ethnsicher Grenzen entstanden oder zusätzlich befeuert wurden.
Für eine Trennung am Balkan braucht es keine neuen Grenzziehung, wie jene aus dem non paper. Sie ist in den populistischen und (religiös-)konservativen Kreisen bereits mehr als existent. Politische Grenzen, die völkischen Grenzen folgen, wären damit eigentlich nur genau das, was die Ethnonationalisten seit geraumer Zeit fordern und nie oder nur sehr eingeschränkt bekommen haben.
Verbinden statt spalten
Möchte man die Büchse der Pandora allen Ernstes öffnen, irredentistischen Bestrebungen den Weg
ebenen und somit Träume von Großserbien, Großalbanien, Großkroatien und dergleichen wieder aufleben lassen? Man muss sich einfach im Klaren sein, dass das konservative Verständnis des Nationalstaates bzw. einer Nation als „Geburtsgemeinschaft“ schon lange passé ist.
Anstatt den Balkan in seine Einzelteile zu zerstückeln, bis am Schluss nichts mehr übrigbleibt, muss man – Achtung, Spoiler! – die bessere, aber zugegebenermaßen auch schwerere Variante wählen: eine Verbesserung der Lebenssituation der aller dort lebenden Menschen, und zwar grenzübergreifend. Wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann ist es, dass rigorose und exkludierende ethnische Teilungen der Menschheit noch nie etwas Positives gebracht haben und sozialer und wirtschaftlicher Wohlstand in eindeutiger Korrelation zu Nationalismus stehen.
Redaktion Politik/kosmo.at
Bild: zVg./Didi Wöhrmann